KONGREGATION
FÜR DIE GLAUBENSLEHRE
Lehrmäßige Note zu einigen Fragen über den Einsatz
und das Verhalten der Katholiken im politischen
Leben
Die Kongregation für die
Glaubenslehre hält es nach Anhören des Päpstlichen Rates für die
Laien für angemessen, die vorliegende Note zu einigen Fragen über
den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen Leben zu
veröffentlichen. Die Note richtet sich an die Bischöfe der
katholischen Kirche und in besonderer Weise an die katholischen
Politiker sowie an alle gläubigen Laien, die zur Teilnahme am
öffentlichen und politischen Leben in den demokratischen
Gesellschaften berufen sind.
I. Eine beständige Lehre
1. Der Einsatz des Christen in
der Welt hat in der 2000-jährigen Geschichte verschiedene
Ausdrucksweisen und Wege gefunden. Einer davon ist die aktive
Teilnahme in der Politik. Die Christen, so schrieb ein kirchlicher
Schriftsteller der ersten Jahrhunderte, "nehmen am öffentlichen
Leben teil wie Bürger". Die Kirche verehrt unter ihren Heiligen
zahlreiche Männer und Frauen, die Gott durch ihren großzügigen
Einsatz in politischen Ämtern und in Regierungsverantwortung gedient
haben. Unter ihnen ist der heilige Thomas Morus, der zum Patron der
Regierenden und der Politiker ausgerufen wurde und der bis zum
Martyrium "von der unantastbaren Würde des Gewissens" Zeugnis
abzulegen wusste. Obgleich er verschiedenen Formen von
psychologischem Druck ausgesetzt war, wies er jeglichen Kompromiss
zurück. Ohne die "beständige Treue zur Autorität und zu den
rechtmäßigen Institutionen" aufzugeben, die ihn auszeichnete,
bestätigte er mit seinem Leben und mit seinem Tod, dass sich "der
Mensch nicht von Gott und die Politik nicht von der Moral trennen
kann".
Die gegenwärtigen demokratischen
Gesellschaften, in denen lobenswerterweise alle an der Gestaltung
des Gemeinwesens in einem Klima wahrer Freiheit teilhaben, fordern
neue und weit gehendere Formen der Beteiligung der Bürger - Christen
wie Nichtchristen - am öffentlichen Leben. In der Tat können alle
durch ihre Stimme zur Wahl der Gesetzgeber und der Regierung und,
auch auf andere Weisen, zur Bildung der politischen Einstellungen
und der gesetzlichen Entscheidungen beitragen, die ihrer Ansicht
nach am besten dem Gemeinwohl dienen. Das Leben in einem
demokratischen System könnte sich nicht gut entfalten ohne die
aktive, verantwortliche und großzügige Beteiligung aller, "wenn auch
in verschiedenartigen, komplementären Formen, Ebenen, Aufgaben und
Verantwortungen".
Indem die gläubigen Laien -
"geführt vom christlichen Gewissen" und im Einklang mit den damit
übereinstimmenden Werten - die allgemeinen politischen Pflichten
erfüllen, üben sie auch die ihnen eigene Aufgabe aus, die zeitliche
Ordnung christlich zu beseelen. Dabei haben sie das Wesen und die
legitime Autonomie der zeitlichen Ordnung zu respektieren und mit
den anderen Bürgern gemäß ihrer spezifischen Kompetenz und in
eigener Verantwortung zusammenzuarbeiten. In Folge dieser
grundlegenden Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils "können die
Laien nicht darauf verzichten, sich in die 'Politik' einzuschalten,
das heißt in die vielfältigen und verschiedenen Initiativen auf
wirtschaftlicher, sozialer, gesetzgebender, verwaltungsmäßiger und
kultureller Ebene, die der organischen und institutionellen
Förderung des Gemeinwohls dienen". Dies beinhaltet die Förderung und
Verteidigung von Gütern wie öffentliche Ordnung und Frieden,
Freiheit und Gleichheit, Achtung des menschlichen Lebens und der
Umwelt, Gerechtigkeit, Solidarität, usw.
Die vorliegende Note beansprucht
nicht, die gesamte Lehre der Kirche zu diesem Thema vorzulegen, die
in ihren wesentlichen Linien im Katechismus der Katholischen Kirche
zusammengefasst ist. Sie möchte nur einige dem christlichen Gewissen
eigene Prinzipien in Erinnerung rufen, die den sozialen und
politischen Einsatz der Katholiken in den demokratischen
Gesellschaften inspirieren". Bei den sich oft überstürzenden
Ereignissen der letzten Zeit traten nämlich zweideutige Auffassungen
und bedenkliche Positionen zu Tage, so dass eine Klärung wichtiger
Aspekte und Dimensionen dieses Themas angebracht erscheint.
II. Einige Kernpunkte in der
gegenwärtigen kulturellen und politischen Debatte
2. Die Gesellschaft befindet
sich heute in einem komplexen kulturellen Prozess, der das Ende
eines Zeitabschnittes und die Unsicherheit über die neue am Horizont
stehende Epoche anzeigt. Die großen Errungenschaften, die
offenkundig sind, fordern dazu heraus, den Weg zu überdenken, den
die Menschheit im Fortschritt und in der Aneignung von
menschlicheren Lebensbedingungen gegangen ist. Die wachsende
Verantwortung gegenüber den Entwicklungsländern ist gewiss ein
Zeichen, von großer Bedeutung, an dem die wachsende Sensibilität für
das Gemeinwohl deutlich wird. Daneben dürfen aber nicht die großen
Gefahren verschwiegen werden, auf die einige Geistesströmungen die
Gesetzgebungen und infolgedessen das Verhalten der kommenden
Generationen hinlenken möchten.
Heute kann man einen gewissen
kulturellen Pluralismus feststellen, der mit der Theorie und
Verteidigung des ethischen Pluralismus deutliche Zeichen an sich
trägt, die den Verfall und die Auflösung der Vernunft und der
Prinzipien des natürlichen Sittengesetzes anzeigen. In Folge dieser
Tendenz ist es leider nicht unüblich, dass in öffentlichen
Erklärungen behauptet wird, der ethische Pluralismus sei die
Bedingung für die Demokratie. So kommt es, dass die Bürger
einerseits für ihre eigenen moralischen Entscheidungen die totale
Autonomie einfordern und die Gesetzgeber andererseits meinen, diese
Entscheidungsfreiheit zu respektieren, wenn sie Gesetze beschließen,
die von den Prinzipien der natürlichen Ethik absehen und kulturellen
oder moralischen Einstellungen nachgeben, die mehr oder weniger in
Mode sind, als ob alle möglichen Auffassungen über das Leben den
gleichen Wert hätten. Zugleich wird mit irrtümlicher Berufung auf
den Wert der Toleranz von einem guten Teil der Bürger - auch von den
Katholiken - gefordert, darauf zu verzichten, am sozialen und
politischen Leben der eigenen Länder gemäß der Auffassung über die
Person und das Gemeinwohl mitzuwirken, die sie als menschlich wahr
und gerecht ansehen und die sie durch die legitimen Mittel umsetzen
möchten, welche die demokratische Rechtsordnung allen Mitgliedern
der politischen Gemeinschaft in gleicher Weise zur Verfügung stellt.
Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt hinreichend, dass jene
Bürger Recht haben, die die relativistische These für vollkommen
falsch halten, nach der es keine moralische Norm gibt, die in der
Natur des Menschseins selbst wurzelt und der jede Auffassung vom
Menschen, vom Gemeinwohl. und vom Staat zu unterwerfen ist.
3. Diese relativistische
Auffassung des Pluralismus hat nichts gemein mit der legitimen
Freiheit der katholischen Bürger, unter den politischen Meinungen,
die mit dem Glauben und dem natürlichen Sittengesetz vereinbar sind,
jene auszuwählen, die gemäß dem eigenen Urteil den Erfordernissen
des Gemeinwohls besser gerecht wird. Die politische Freiheit gründet
mitnichten in der relativistischen Idee, gemäß der alle Auffassungen
über das Wohl des Menschen dieselbe Wahrheit und denselben Wert
besitzen, sondern in dem Umstand, dass die politischen Aktivitäten
von Fall zu Fall auf die ganz konkrete Verwirklichung des
menschlichen und sozialen Wohles hinzielen, und zwar in einem genau
umschriebenen geschichtlichen, geographischen, ökonomischen,
technologischen und kulturellen Zusammenhang. Von der konkreten
Verwirklichung und den verschiedenen Umständen hängen im Allgemeinen
die unterschiedlichen Einstellungen und Lösungen ab, die allerdings
moralisch annehmbar sein müssen. Es ist nicht Aufgabe der Kirche,
konkrete Lösungen - oder gar ausschließliche Lösungen - für
zeitliche Fragen zu entwickeln, die Gott dem freien und
verantwortlichen Urteil eines jeden überlassen hat. Es ist freilich
Recht und Pflicht der Kirche, moralische Urteile über zeitliche
Angelegenheiten zu fällen, wenn dies vom Glauben und vom
Sittengesetz gefordert ist. Der Christ ist gehalten, "berechtigte
Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Ordnung irdischer Dinge"
anzuerkennen. Zugleich ist er gerufen, sich von einer Auffassung des
Pluralismus im Sinn eines moralischen Relativismus zu distanzieren,
die für das demokratische Leben selbst schädlich ist. Dieses braucht
wahre und solide Fundamente, das heißt ethische Prinzipien, die auf
Grund ihrer Natur und ihrer Rolle als Grundlage des sozialen Lebens
nicht "verhandelbar" sind.
Auf der Ebene der konkreten
politischen Auseinandersetzung muss man beachten, dass einige
Entscheidungen in sozialen Fragen kontingenten Charakter haben, dass
moralisch oft unterschiedliche konkrete Strategien möglich sind, um
denselben Grundwert zu verwirklichen oder zu garantieren, dass
einige politische Grundprinzipien auf verschiedene Weise
interpretiert werden können und dass ein guter Teil der politischen
Fragestellungen komplexer Natur sind. Dies erklärt, weshalb es im
Allgemeinen mehrere Parteien gibt, in denen die Katholiken aktiv
mitarbeiten können, um - insbesondere durch die parlamentarische
Vertretung - ihr Recht und ihre Pflicht beim Aufbau der Gesellschaft
ihres Landes auszuüben. Diese offenkundige Feststellung darf
allerdings nicht verwechselt werden mit einem unterschiedslosen
Pluralismus in der Wahl der moralischen Prinzipien und Grundwerte,
auf die Bezug genommen wird. Die legitime Vielfalt der zeitlichen
Optionen lässt den Mutterboden unversehrt, aus dem der Einsatz der
Katholiken in der Politik kommt, und dieser bezieht sich direkt auf
die christliche Moral- und Soziallehre. Mit dieser Lehre müssen sich
die katholischen Laien immer auseinandersetzen, um Sicherheit
darüber zu haben, dass ihre eigene Mitwirkung am politischen Leben
von einer kohärenten Verantwortung für die zeitlichen Dinge geprägt
ist.
Die Kirche ist sich bewusst,
dass der Weg der Demokratie einerseits die direkte Mitwirkung der
Bürger an den politischen Entscheidungen am besten zum Ausdruck
bringt, andererseits aber nur in dem Maß möglich ist, in dem er ein
richtiges Verständnis über die Person zur Grundlage hat. Der Einsatz
der Katholiken kann bezüglich dieses Prinzips keinem Kompromiss
nachgeben, denn sonst würden das Zeugnis des christlichen Glaubens
in der Welt und die innere Einheit und Kohärenz der Gläubigen selbst
aufgegeben. Die demokratische Struktur, .auf die sich der moderne
Staat aufbaut, wäre ziemlich schwach, wenn sie nicht die zentrale
Bedeutung der Person zu ihrem Fundament machen würde. Es ist in der
Tat die Achtung vor der Person, die die demokratische Teilnahme
ermöglicht. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt; dass "der Schutz
der Personenrechte die notwendige Bedingung dafür ist, dass die
Bürger einzeln oder im Verbund am Leben und an der Leitung -des
Staates tätig Anteil nehmen können".
4. Davon ausgehend gibt es ein
komplexes Netz von aktuellen Problemen, die nicht mit den
Fragestellungen vergangener Jahrhunderte verglichen werden können.
Wissenschaftliche Errungenschaften haben es nämlich ermöglicht,
Ziele zu erreichen, die das Gewissen der Menschen erschüttern und
die Lösungen verlangen, welche die ethischen Prinzipien in
kohärenter und vollständiger Weise respektieren. Ohne die Folgen für
das Leben und die Zukunft der Völker in der Formung der Kultur und
der sozialen Verhaltensweisen zu beachten, gibt es in der
Gesetzgebung Versuche, die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens
zu zerbrechen. In dieser schwierigen Lage haben die Katholiken das
Recht und die Pflicht einzugreifen, um den tiefsten Sinn des Lebens
und die Verantwortung, die alle dafür besitzen, in Erinnerung zu
rufen. In Kontinuität der beständigen Lehre der Kirche hat Johannes
Paul II. mehrmals unterstrichen, dass jene, die direkt in den
gesetzgebenden Versammlungen tätig sind, die "klare Verpflichtung"
haben, sich jedem Gesetz zu widersetzen, das ein Angriff auf das
menschliche Leben ist. Für sie, wie für jeden Katholiken, ist es
nicht erlaubt, sich an einer Meinungskampagne für solche Gesetze zu
beteiligen oder sie mit der eigenen Stimme zu unterstützen. Das
hindert nicht daran - wie Johannes Paul Il. in der Enzyklika
Evangelium vitae für den Fall lehrte, in dem eine vollständige
Abwendung oder Aufhebung eines bereits geltenden oder zur Abstimmung
gestellten Abtreibungsgesetzes nicht möglich wäre -, "dass es einem
Abgeordneten, dessen persönlicher absoluter Widerstand gegen die
Abtreibung klargestellt und allen bekannt wäre, ... gestattet sein
könnte, Gesetzesvorschläge zu unterstützen, die die
Schadensbegrenzung eines solchen Gesetzes zum Ziel haben und die
negativen Auswirkungen auf das Gebiet der Kultur und der
öffentlichen Moral vermindern".
In diesem Zusammenhang muss
hinzugefügt werden, dass das gut gebildete christliche Gewissen
niemandem gestattet, mit der eigenen Stimme die Umsetzung eines
politischen Programms zu unterstützen, in dem die grundlegenden
Inhalte des Glaubens und der Moral durch alternative oder diesen
Inhalten widersprechende Vorschläge umgestoßen werden. Weil der
Glaube eine untrennbare Einheit bildet, ist es nicht möglich, auch
nur einen seiner Inhalte herauszulösen, ohne der ganzen katholischen
Lehre zu schaden. Der politische Einsatz für einen isolierten Aspekt
der Soziallehre der Kirche würde der Verantwortung für das
Gemeinwohl nicht gerecht. Auch darf der Katholik nicht meinen,
anderen die christliche Verpflichtung überlassen zu können, die ihm
durch das Evangelium Jesu Christi zukommt, damit die Wahrheit über
den Menschen und die Welt verkündet und verwirklicht werde.
Wenn die politische Tätigkeit
mit moralischen Prinzipien konfrontiert wird, die keine
Abweichungen, Ausnahmen oder Kompromisse irgendwelcher Art zulassen,
dann ist der Einsatz der Katholiken deutlicher sichtbar und mit
größerer Verantwortung verbunden. Geht es um diese grundlegenden,
unaufgebbaren ethischen Forderungen, müssen die Gläubigen wissen,
dass der Kern der moralischen Ordnung auf dem Spiel steht, der das
Gesamtwohl der Person betrifft. Dies ist der Fall bei den zivilen
Gesetzen im Bereich der Abtreibung und der Euthanasie (nicht zu
verwechseln mit dem Verzicht auf therapeutischen Übereifer, der -
auch moralisch - erlaubt ist), die das vorrangige Recht des Menschen
auf Leben von seiner Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende
schützen müssen. In gleicher Weise ist an die Pflicht zu erinnern,
die Rechte des menschlichen Embryos zu achten und zu verteidigen. In
analoger Weise muss der Schutz und die Förderung der Familie
gewährleistet werden, die auf der monogamen Ehe zwischen Personen
verschiedenen Geschlechts gründet und die in ihrer Einheit und
Stabilität gegenüber den modernen Gesetzen über die Ehescheidung zu
schützen ist. Andere Formen des Zusammenlebens können der Familie in
keiner Weise rechtlich gleichgestellt werden noch als solche eine
gesetzliche Anerkennung erhalten. Auch die Freiheit der Eltern in
der Erziehung ihrer eigenen Kinder ist ein unaufgebbares Recht, das
zudem von den internationalen Erklärungen der Menschenrechte
anerkannt ist. In gleicher Weise muss an den sozialen Schutz der
Minderjährigen und an die Befreiung der Opfer von den modernen
Formen der Sklaverei (zum Beispiel der Droge oder der Ausnützung
durch die Prostitution) gedacht werden. Nicht fehlen darf in dieser
Aufzählung das Recht auf Religionsfreiheit sowie die Entwicklung
einer Wirtschaftsordnung, die im Dienst der Person und des
Gemeinwohls steht und die soziale Gerechtigkeit und die Prinzipien
der menschlichen Solidarität und der Subsidiarität beachtet, gemäß
denen "die Rechte aller Personen, Familien und gesellschaftlichen
Gruppen und deren Ausübung anerkannt werden sollen". Schließlich ist
unter diesen Beispielen das große Thema des Friedens zu nennen. Eine
irenische und ideologische Sichtweise neigt manchmal dazu, den Wert
des Friedens zu säkularisieren, während man sich in anderen Fällen
mit einem zusammenfassenden ethischen Urteil begnügt und die
Komplexität der in Frage stehenden Ursachen vergisst. Der Friede ist
immer "das Werk der Gerechtigkeit und die Wirkung der Liebe". Er
verlangt, dass Gewalt und Terrorismus radikal und absolut
zurückgewiesen werden. Er fordert den beständigen und wachsamen
Einsatz jener, die in der Politik Verantwortung tragen.
III. Prinzipien der katholischen
Lehre über Laizität und Pluralismus
5. In Anbetracht dieser
Problemkreise kann man zwar mit Recht daran denken, unterschiedliche
Vorgangsweisen anzuwenden, die verschiedene Sensibilitäten und
Kulturen widerspiegeln. Es ist jedoch keinem Gläubigen gestattet,
sich auf das Prinzip des Pluralismus und der Autonomie der Laien in
der Politik zu berufen, um Lösungen zu begünstigen, die den Schutz
der grundlegenden ethischen Forderungen für das Gemeinwohl der
Gesellschaft kompromittieren oder schwächen. Es handelt sich dabei
nicht um "konfessionelle Werte", denn diese ethischen Forderungen
wurzeln im menschlichen Wesen und gehören zum natürlichen
Sittengesetz. Wer sie verteidigt, muss sich nicht unbedingt zum
christlichen Glauben bekennen, auch wenn die Lehre der Kirche diese
Forderungen immer und überall als selbstlosen Dienst an der Wahrheit
über den Menschen und das Gemeinwohl bekräftigt und verteidigt.
Andererseits kann man nicht leugnen, dass die Politik auch auf
Prinzipien Bezug nehmen muss, die einen absoluten Eigenwert haben,
weil sie der Würde der Person und dem wahren menschlichen
Fortschritt dienen.
6. Der häufige Verweis auf die "Laizität",
die den politischen Einsatz der Katholiken lenken müsse, bedarf
einer Klärung, die nicht nur terminologischer Natur ist. Die
gewissenhafte Förderung des Gemeinwohls der politischen Gesellschaft
hat nichts mit "Konfessionalismus" oder religiöser Intoleranz zu
tun. Für die katholische Morallehre ist die Laizität, verstanden als
Autonomie der zivilen und politischen Sphäre gegenüber der
religiösen und kirchlichen - aber nicht gegenüber der moralischen
Sphäre -, ein von der Kirche akzeptierter und anerkannter Wert, der
zu den Errungenschaften der Zivilisation gehört. Johannes Paul II.
hat mehrere Male vor den Gefahren gewarnt, die dann entstehen, wenn
die religiöse und die politische Sphäre miteinander verwechselt
werden. "Sehr delikat sind die Situationen, in denen eine spezifisch
religiöse Norm Gesetz des Staates wird oder zu werden droht, ohne
dass man gebührend zwischen den Kompetenzen der Religion und jenen
der politischen Gesellschaft unterscheidet. Die Identifikation des
religiösen Gesetzes mit dem Zivilgesetz kann in der Tat die
Religionsfreiheit unterdrücken und auch andere unveräußerliche
Menschenrechte einschränken oder beseitigen". Alle Gläubigen sind
sich sehr bewusst, dass die spezifisch religiösen Akte (Bekenntnis
des Glaubens, Teilnahme an den Gottesdiensten und den Sakramenten,
theologische Lehren, wechselseitige Kommunikation zwischen den
religiösen Amtsträgern und den Gläubigen, usw.) außerhalb der
Kompetenzen des Staates bleiben, der sich in diese nicht einmischen
darf noch sie in irgendeiner Weise vorschreiben oder verhindern
kann, mit Ausnahme begründeter Forderungen der öffentlichen Ordnung.
Die Anerkennung der zivilen und politischen Rechte und die Gewährung
der öffentlichen Dienste dürfen nicht von den religiösen
Überzeugungen oder Leistungen der Bürger abhängig gemacht werden.
Eine ganz andere Frage ist das
Recht und die Pflicht der Katholiken, wie auch aller anderen Bürger,
aufrichtig die Wahrheit zu suchen und die moralischen Wahrheiten
über das gesellschaftliche Leben, die Gerechtigkeit, die Freiheit,
die Ehrfurcht vor dem Leben und die anderen Rechte der Person mit
legitimen Mitteln zu fördern und zu verteidigen. Die Tatsache, dass
einige dieser Wahrheiten auch von der Kirche gelehrt werden, mindert
nicht die bürgerliche Berechtigung und die "Laizität" des Einsatzes
derer, die sich darin wieder finden, und zwar unabhängig davon,
welche Rolle die rationale Suche und die vom Glauben kommende
Bestätigung bei der Anerkennung dieser Wahrheiten durch den
einzelnen Bürger gespielt haben. "Laizität" bedeutet nämlich in
erster Linie Respekt vor jenen Wahrheiten, die der natürlichen
Erkenntnis von dem in der Gesellschaft lebenden Menschen
entspringen, auch wenn diese Wahrheiten zugleich von einer
bestimmten Religion gelehrt werden, weil es nur eine Wahrheit gibt.
Es wäre ein Irrtum, die richtige Autonomie, die sich die Katholiken
in der Politik zu eigen machen müssen, mit der Forderung nach einem
Prinzip zu verwechseln, das von der Moral- und Soziallehre der
Kirche absieht.
Mit seinen Verlautbarungen in
diesem Bereich will das Lehramt der Kirche weder politische Macht
ausüben noch die freie Meinungsäußerung der Katholiken über
kontingente Fragen einschränken. Es beabsichtigt jedoch -
entsprechend der ihm eigenen Aufgabe -, das Gewissen der Gläubigen
zu unterweisen und zu erleuchten, und zwar vor allem jener, die sich
im politischen Leben einsetzen, damit ihr Handeln immer der
umfassenden Förderung der Person und des Gemeinwohls dient. Die
Soziallehre der Kirche stellt keine Einmischung in die Regierung der
einzelnen Länder dar. Aber sie beinhaltet für die gläubigen Laien
gewiss eine moralische Verpflichtung zu einem kohärenten Leben, die
ihrem Gewissen innewohnt, welches einzig und unteilbar ist. "Sie
können keine Parallelexistenz führen: auf der einen Seite das
'spirituelle' Leben mit seinen Werten und Forderungen und auf der
anderen Seite das 'welthafte' Leben, das heißt das Familienleben,
das Leben in der Arbeit, in den sozialen Beziehungen, im politischen
Engagement und in der Kultur. Die Rebe, die im Weinstock Christi
verwurzelt ist, trägt in allen Bereichen ihres Wirkens und Lebens
Früchte. Alle Lebensbereiche der Laien sind im Plan Gottes
inbegriffen. Er will, dass sie der geschichtliche Ort der
Offenbarung und Verwirklichung der Liebe Jesu Christi zur Ehre des
Vaters und im Dienst der Brüder und Schwestern werden. Jedes Tun,
jede Situation, jede konkrete Verpflichtung - wie zum Beispiel die
Kompetenz und die Solidarität in der Arbeit, die Liebe und Hingabe
in der Familie und in der Erziehung der Kinder, der soziale und
politische Dienst, das Künden der Wahrheit auf dem Gebiet der Kultur
- bieten hervorragende Gelegenheiten für einen ständigen Vollzug von
Glaube, Hoffnung und Liebe". Wenn die Christen politisch in
Übereinstimmung mit dem eigenen Gewissen leben und handeln, sind sie
nicht Auffassungen ausgeliefert, die dem politischen Einsatz fremd
sind, und betreiben auch nicht eine Form von Konfessionalismus.
Vielmehr leisten sie auf diese Weise ihren stimmigen Beitrag, damit
durch die Politik eine soziale Ordnung entsteht, die gerechter ist
und mehr der Würde des Menschen entspricht.
In den demokratischen
Gesellschaften werden alle Vorschläge frei diskutiert und geprüft.
Wer im Namen des Respekts vor dem persönlichen Gewissen in der
moralischen Verpflichtung der Christen, mit dem eigenen Gewissen
kohärent zu sein, ein Zeichen sehen möchte, diese politisch zu
disqualifizieren und ihnen die Berechtigung abzusprechen, in der
Politik entsprechend ihren eigenen Überzeugungen bezüglich des
Gemeinwohls zu handeln, würde einem intoleranten Laizismus
verfallen. Diese Einstellung leugnet nicht nur jede politische und
kulturelle Relevanz der christlichen Religion, sondern auch die
Möglichkeit einer natürlichen Ethik. So würde der Weg zu einer
moralischen Anarchie eröffnet, der mit keiner Form eines legitimen
Pluralismus gleichgesetzt werden könnte. Die Herrschaft des
Stärkeren über den Schwachen wäre die offenkundige Folge dieser
Einstellung. Die Marginalisierung des Christentums würde darüber
hinaus nicht den zukünftigen Entwurf einer Gesellschaft und die
Eintracht unter den Völkern fördern, sondern die geistigen und
kulturellen Grundlagen der Zivilisation selbst bedrohen.
IV. Erwägungen über Teilaspekte
7. In jüngerer Zeit ist es
gelegentlich vorgekommen, dass - auch innerhalb einiger
Vereinigungen und Organisationen katholischer Prägung - Positionen
zu Gunsten politischer Kräfte und Bewegungen vertreten wurden, die
in grundlegenden ethischen Fragen von der Moral- und Soziallehre der
Kirche abweichen. Solche Einstellungen und Verhaltensweisen
widersprechen grundlegenden Prinzipien des christlichen Gewissens
und sind nicht mit der Zugehörigkeit zu Vereinigungen und
Organisationen vereinbar, die sich katholisch nennen. In analoger
Weise ist zu sagen, dass einige katholische Zeitschriften in
gewissen Ländern die Leser bei politischen Wahlen in zweideutiger
und unangemessener Weise orientiert, irrige Auffassungen über den.
Sinn der Autonomie der Katholiken in der Politik verbreitet und die
oben erwähnten Prinzipien nicht in Betracht gezogen haben.
Der Glaube an Jesus Christus,
der sich selbst "der Weg und die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6)
genannt hat, verlangt von den Christen, dass sie mit vermehrtem
Einsatz den Aufbau einer Kultur vorantreiben, die, ausgerichtet am
Evangelium, den Reichtum der Werte und Inhalte der katholischen
Tradition neu darlegt. Die Frucht des geistlichen, intellektuellen
und moralischen Erbes des Katholizismus in modernen kulturellen
Ausdrucksweisen vorzutragen, ist heute notwendig und drängend und
darf nicht aufgeschoben werden, auch um die Gefahr einer kulturellen
Diaspora der Katholiken zu vermeiden. Wegen der errungenen
kulturellen Stärke und der reichen Erfahrung an politischem
Engagement, die die Katholiken in verschiedenen Ländern vor allem in
den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt haben, gibt es
keinen Grund für sie, Minderwertigkeitskomplexe gegenüber anderen
Auffassungen zu haben, die die jüngste Geschichte als schwach oder
als totalen Fehlschlag entlarvt hat. Die Meinung, man könne das
soziale Engagement der Katholiken auf bloße Strukturveränderungen
beschränken, ist unzureichend und verkürzend. Wenn nämlich an der
Basis keine Kultur steht, die fähig ist, die vom Glauben und von der
Moral kommenden Ansprüche aufzunehmen, zu rechtfertigen und
weiter zu tragen, werden Veränderungen immer auf schwachen Fundamenten
ruhen.
Der Glaube hat nie beansprucht,
die sozialpolitischen Inhalte in ein strenges Schema zu zwängen. Man
war sich immer bewusst, dass die Geschichte, in der der Mensch lebt,
unvollkommene Situationen und oft rasche Veränderungen mit sich
bringt. In dieser Hinsicht müssen jene politischen Positionen und
Verhaltensweisen zurückgewiesen werden, die einer utopischen Vision
folgen, welche die Tradition des biblischen Glaubens in eine Art
Prophetismus ohne Gott verdreht, die religiöse Botschaft
instrumentalisiert und das Gewissen auf eine bloß irdische Hoffnung
ausrichtet, welche die christliche Spannung auf das ewigen Leben hin
aufhebt oder entstellt.
Zugleich lehrt die Kirche, dass
es ohne die Wahrheit keine wahre Freiheit gibt. "Wahrheit und
Freiheit verbinden sich entweder miteinander oder sie gehen
gemeinsam elend zugrunde", hat Johannes Paul Il. geschrieben. In
einer Gesellschaft, in der man die Wahrheit nicht verkündet und
nicht danach strebt, sie zu erlangen, wird auch jede Form echter
Freiheitsausübung beseitigt und der Weg zu einem Libertinismus und
Individualismus eröffnet, der dem Wohl der Person und der ganzen
Gesellschaft schadet.
8. In diesem Zusammenhang ist es
gut, an eine Wahrheit zu erinnern, die in der öffentlichen Meinung
heute nicht immer richtig verstanden und formuliert wird: Das Recht
auf Gewissensfreiheit und besonders auf Religionsfreiheit, das von
der Erklärung Dignitatis humanae des Zweiten Vatikanischen Konzils
verkündet wurde, stützt sich auf die ontologische Würde der
menschlichen Person, und keineswegs auf eine Gleichheit der
Religionen und kulturellen Systeme, die es nicht gibt. In diesem
Sinn hat Papst Paul VI. bekräftigt, dass "das Konzil dieses Recht
auf Religionsfreiheit in keiner Weise auf die Tatsache gründet, dass
alle Religionen und alle Lehren, auch die irrigen, einen mehr oder
weniger gleichen Wert hätten; es gründet dieses Recht vielmehr auf
die Würde der menschlichen Person, die verlangt, dass man sie nicht
äußeren Zwängen unterwirft, die das Gewissen bei der Suche nach der
wahren Religion und ihrer Annahme zu unterdrücken drohen". Die
Bekräftigung der Gewissens- und Religionsfreiheit widerspricht
deshalb nicht der Verurteilung des Indifferentismus und des
religiösen Relativismus durch die katholische Lehre, sondern stimmt
ganz damit überein.
V. Schluss
9. Die Orientierungen, die in
der vorliegenden Note enthalten sind, wollen einen sehr wichtigen
Aspekt des christlichen Lebens beleuchten: die Einheit und Kohärenz
zwischen Glauben und Leben, zwischen Evangelium und Kultur, an die
das Zweite Vatikanische Konzil erinnert hat. Es fordert die
Gläubigen auf, "nach treuer Erfüllung ihrer irdischen Pflichten zu
streben, und dies im Geist des Evangeliums. Die Wahrheit verfehlen
die, die im Bewusstsein, hier keine bleibende Stätte zu haben,
sondern die künftige zu suchen, darum meinen, sie könnten ihre
irdischen Pflichten vernachlässigen, und so verkennen, dass sie,
nach Maßgabe der jedem zuteil gewordenen Berufung, gerade durch den
Glauben selbst um so mehr zu deren Erfüllung verpflichtet sind". Die
Gläubigen sollen danach verlangen, "ihre ganze irdische Arbeit so
leisten zu können, dass sie ihre menschlichen, häuslichen,
beruflichen, wissenschaftlichen oder technischen Anstrengungen mit
den religiösen Werten zu einer lebendigen Synthese verbinden; wenn
diese Werte nämlich die letzte Sinngebung bestimmen, wird alles auf
Gottes Ehre hingeordnet".
Papst Johannes Paul II. hat die
vorliegende Note, die in der Ordentlichen Versammlung dieser
Kongregation beschlossen worden war, in der Audienz vom 21. November
2002 approbiert und ihre Veröffentlichung angeordnet.
Rom, am Sitz der Kongregation
für die Glaubenslehre, am 24. November 2002, dem Hochfest
Christkönig.
+ JOSEPH CARD. RATZINGER
Präfekt
+ TARCISIO BERTONE, S.D.B.
Erzbischof em. von Vercelli Sekretär
www.kath.net/detail.php?id=4197
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