Wenn die Zeugen Jehovas klingeln

Hintergründe über die bekannteste religiöse Sondergemeinschaft - Ein Bericht von Klaus Rösler

Sie stehen in Fußgängerzonen, vor Einkaufszentren oder klingeln an der Haustür, um die Zeitschrift „Wachtturm“ oder „Erwachet“ anzubieten: Jehovas Zeugen (JZ) – eine religiöse Sondergemeinschaft. Für die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin – eine Einrichtung der EKD – sind die Zeugen die bekannteste „Sekte“ schlechthin. In Deutschland zählt die Gemeinschaft 210.000 getaufte Mitglieder, davon 165.000 im aktiven Dienst, die in 2.200 Versammlungen (Gemeinden) organisiert sind: 25 Millionen Stunden haben sie allein im vergangenen Jahr für „Jehova“ geworben. Das sind mehr als 150 Stunden pro aktives Mitglied. Ihre Tätigkeit führte zu rund 3500 Taufen, dennoch stagniert die Zahl der Aktiven in Deutschland (Österreich 21.000, Schweiz 19.000). Weltweit konnten die Zeugen dagegen einen Zuwachs von zwei Prozent auf 6,5 Millionen „Verkündiger“ verzeichnen. Vor allem in den Ländern des früheren Ostblocks sowie in Lateinamerika nimmt ihre Zahl zu. Mit 26 Millionen Exemplaren in 150 Sprachen ist der „Wachtturm“, der zweimal im Monat erscheint, die am weitesten verbreitete religiöse Zeitschrift der Welt, heißt es nicht ohne Stolz aus dem deutschen JZ-Informationsbüro in Selters bei Frankfurt am Main. Die Zentrale der Bewegung, die auch Wachtturmgesellschaft heißt, befindet sich im New Yorker Stadtteil Brooklyn.

Viele Termine vom Weltende

Unter dem Namen „Zeugen Jehovas“ firmieren die Anhänger seit 1931. Die Anfänge liegen weiter zurück. Eine Gruppe von Bibelforschern um den Kaufmann und späteren Pastor Charles T. Russell (1852-1916) begann 1870 in den USA, ernsthaft in der Bibel nach dem möglichen Ende der Welt und der Wiederkunft Christi zu forschen. Zunächst erwarteten Russell und seine Anhänger das Ende für 1872/73, dann für 1874. Nachdem aber Jesus nicht kam, gründete Russell einen Bibelstudienkreis und gab ab 1879 die Zeitschrift „Der Wachtturm“ heraus, die seit 1897 auch auf deutsch erscheint. Auch alle anderen von den Zeugen errechneten Daten über das Ende der Welt erwiesen sich als falsch. Als 1914 ein solcher Termin erneut verstrich, wandten sich zahlreiche Anhänger enttäuscht von der damals noch als „ernste Bibelforscher“ bezeichneten Gruppierung ab. Für die Zeugen Jehovas hat das Datum dennoch Bedeutung: Denn in dem Jahr hat nach ihrer Überzeugung Jesus Christus die Herrschaft über das „Königreich Gottes“ im Himmel übernommen und dabei Satan und seine Dämonen aus dem Himmel in die Nähe der Erde verbannt. Begründet wird diese Lehre mit Offenbarung 12,7-9: „Und es entbrannte ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht, und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im Himmel. Und es wurde hinausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen.“

„Ihr seid meine Zeugen ...“

Wann nun das in der Bibel Harmageddon genannte Gericht Gottes eintritt, in der die alte Welt mit allen nicht gottgefälligen Menschen vernichtet wird, lassen die Zeugen Jehovas seit 1975 offen. Dieses Jahr war zum letzten Mal als Datum für das Gericht Gottes benannt worden – und hatte sich wieder als falsch erwiesen. Heute heißt es, man lebe „in der Zeit des Endes“. Russell starb 1916, und sein Nachfolger, Joseph Franklin Rutherford (1869-1942), gab der bis dahin lose organisierten Bewegung die heutige Form. Der Name geht – wie alles bei den Zeugen – auf eine Bibelstelle zurück: „Ihr seid meine Zeugen, ist der Ausspruch Jehovas“ (Jesaja 43, 10ff.) Zur Bezeichnung „Jehova“ für Gott kommt es, weil von den „Zeugen“ der Eigenname Gottes, der in der hebräischen Bibel nur mit den Konsonanten JHWH beschrieben wird, seit dem 11. Jahrhundert falsch ausgesprochen wird. Dieser Fehler ist für die „Zeugen“ kein Anlaß zur Namensänderung: „‚Jehova’ (oder ‚Jahwe’) ist der Eigenname des allmächtigen Gottes und Schöpfers“, heißt es kommentarlos und richtigstellend auf der Internetseite der Sekte.

Eigene Bibelübersetzung

Die Zeugen Jehovas bezeichnen sich selbst als Christen, doch sie lehnen die Ökumene und andere christliche Religionsgemeinschaften als Formen „falscher Religion“ ab. Jesus Christus verehren sie als Sohn Gottes, zugleich verwerfen sie die Lehre, daß Gott in den Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist dreieinig ist: „Jesus beanspruchte niemals Gleichheit mit Gott, und er ist daher kein Teil einer Dreieinigkeit“, wird in einer Selbstdarstellung festgehalten. Die Bibel gilt als „unfehlbares, inspiriertes Wort“: „Einige Passagen sind wörtlich, andere symbolisch zu verstehen.“ Die Zeugen haben ihre eigene Bibelübersetzung, die Neue-Welt-Übersetzung. Nach Angaben der EZW besteht „eine der gravierendsten Verfälschungen in dieser Übersetzung jedoch darin, daß an 237 Stellen der Gottesname ‚Jehova’ in den Text des Neuen Testamentes aufgenommen wurde, obwohl dieses Wort im Urtext nicht vorkommt.“

Nur einen Feiertag

Christliche Feiertage wie Weihnachten und Ostern lehnen die Zeugen als unbiblisch ab. Der einzige religiöse Feiertag, den sie halten, ist der Todestag Christi, der Karfreitag, an dem sie das Abendmahl als Gedächtnismahl feiern. Doch kaum jemand greift zu Brot und Wein. Von den über 16 Millionen Anwesenden im vergangenen Jahr haben nur rund 8200 Brot und Wein genommen, weil sie meinen, zur „gesalbten“ Gruppe jener 144.000 zu gehören, die laut Offenbarung mit Christus als Könige und Priester im Himmel herrschen werden, während die übrigen - die große Mehrheit - auf der dann paradiesischen Erde weiterleben wird. Die Gewißheit, wer zu den 144.000 gehört, gebe es durch den Heiligen Geist, heißt es.

Streitthema Blutspende

Immer wieder für Schlagzeilen sorgen die Zeugen Jehovas, weil sie Bluttransfusionen unter Hinweis auf Apostelgeschichte 15,29 („enthaltet euch vom Götzenopfer und vom Blut und vom Erstickten und von Unzucht“) und alttestamentliche Stellen ablehnen. Es gebe Transfusionsalternativen, heißt es dazu von Seiten der Öffentlichkeitsarbeit der Zeugen Jehovas. Dazu haben sie sogar eine eigene DVD produziert, die sie kostenlos abgeben. 5.300 Mediziner in Deutschland hätten sich bereit erklärt, die Zeugen entsprechend anders zu behandeln. „Eine medizinische Behandlung, die kein Blut verwendet, ist sowieso gesünder“, meint der Pressesprecher der Zeugen, Walter Köbe (Selters). Auch für die EZW steht fest, daß die Zeugen Jehovas durch „ihr persönliches Engagement, ihre Rastlosigkeit und ihr oftmals glaubwürdiges Auftreten“ beeindrucken. Sämtliche Kosten der Glaubensgemeinschaft werden allein durch freiwillige Spenden beglichen, wobei es weder Mitgliedsbeiträge noch den biblischen Zehnten gibt. Durch Spenden wird auch der Lebensunterhalt der weltweit 20.000 hauptamtlichen Mitarbeiter, darunter etwa 1750 in Deutschland, aufgebracht, die als „Sondervollzeitdiener“ in der Zentrale in Selters oder als Aufseher in den Kreisen und Bezirken arbeiten. Weltweit wurden dafür im vergangenen Jahr 71 Millionen Euro ausgegeben. Die Ortsgemeinden haben dagegen keine hauptamtlichen Prediger. Sie werden von ehrenamtlich tätigen Ältesten geleitet.

Karitativer Zweig

Seit dem Oderhochwasser im Sommer 2002 gibt es in Deutschland auch einen karitativ tätigen Zweig, das „Christliche humanitäre Hilfswerk der Zeugen Jehovas“, das weltweit tätig ist – wie jüngst in der Katastrophenhilfe zugunsten der Tsunami-Opfer. Wobei die Verantwortlichen Wert auf die Feststellung legen, daß nicht nur Zeugen Jehovas, sondern auch Andersgläubige in den Genuß der Hilfe kommen: „Wir wollen allen Menschen Gutes tun“, heißt es dabei unter Berufung auf die Bibel (Gal 6,10). Eine organisierte Diakonie gibt es nicht. Statt dessen verweist Köbe darauf, daß rund ein Drittel aller erwerbstätigen Zeugen Jehovas einer Beschäftigung nachgeht, „die im öffentlichen Interesse liegt“: etwa in der Behinderten- oder Altenpflege, der Kinderbetreuung, in sozialen Diensten oder im Gesundheitswesen. Insgesamt handelt es sich dabei um etwa 16.000 Menschen.

Streitgespräche nicht sinnvoll

Und was soll man tun, wenn nun ein Zeuge Jehovas an der Tür klingelt und um ein Gespräch bittet? Die EZW gibt sich pragmatisch: „Streitgespräche mit Jehovas Zeugen sind wenig sinnvoll. Meist sind Laien der geschulten Gesprächsführung der Zeugen nicht gewachsen. Sagen Sie deutlich, daß Sie keine weiteren Besuche möchten. Machen Sie Ihren Besuchern klar, daß Sie sich bei Ihrer Kirchengemeinde gut aufgehoben fühlen und keinen Bedarf sehen, sich einer anderen Gemeinschaft anzuschließen.“ (idea)

URL: http://www.kath.net/detail.php?id=9896
Auf KATH.NET seit dem: 06. 03. 2005    17:52 Uhr
© www.kath.net

 

Zurück